Die Armierung des Blicks

Margaret Bourke-Whites Fotografien aus dem Zweiten Weltkrieg

Margaret Bourke-White in der Fernsehsendung „Person to Person“, August 1955. Quelle: Bureau of Industrial Service, USA / Wikimedia Commons, public domain

Neben Robert Capa und Lee Miller zählt die Amerikanerin Margaret Bourke-White (1904–1971) zu den bekanntesten BildberichterstatterInnen des Zweiten Weltkriegs. Im Auftrag des legendären Bildmagazins LIFE fotografierte sie ab 1942 an Kriegsschauplätzen in Großbritannien, Nordafrika, Italien und Deutschland. Bis heute werden ihre Fotografien als Zeugen dieser historischen Ereignisse verstanden. Das gerade im Fotojournalismus immer noch wirksame dokumentarische Paradigma verstellt dabei den Blick auf die von unterschiedlichen Interessen geleiteten Entstehungskontexte, Bezugsrahmen und Rezeptionsräume, innerhalb derer ihre Fotografien entstanden und ihre Wirkung entfalteten.

Ziel des Dissertationsprojekts ist es, diesen engen Blick auf Bourke-Whites Fotografien aus dem Zweiten Weltkrieg zu erweitern und einer grundlegenden kulturhistorischen Analyse zu unterziehen. Zugleich sollen durch das Aufgreifen aktueller Forschungen zur Bildpolitik von Kriegen und gewalttätigen Konflikten neue Zugänge zur Analyse und Interpretation historischer Kriegsfotografien aufgezeigt werden.

Ausgangspunkt ist, neben der Auswertung der in Zeitschriften und Büchern publizierten Bilder und Texte, die ausführliche und kritische Sichtung des zum Großteil unveröffentlichten, mehrere tausend Kontaktabzüge und Vintage Prints, Notizbücher und Manuskripte umfassenden Quellenmaterials im Archiv der Fotografin an der Syracuse University, Syracuse, NY. Inhaltliche Akzentuierungen, aber auch Zensurbestrebungen innerhalb des Publikationsprozesses können so nachvollziehbar gemacht werden. In Publikationen und Ausstellungen wurden Bourke-Whites Fotografien bis dato ausnahmslos als Dokumente der auf ihnen dargestellten Ereignisse oder der Biografie der Fotografin eingesetzt. Die Einbettung in zeitgenössische politische, militärische, soziale und kulturelle Bezugsrahmen soll nun deutlich machen, dass ihre Fotografien keineswegs objektive “Fenster zur Welt“ sind, sondern dass ihre Entstehung und Gestaltung, ihr Gebrauch sowie ihre Rezeption durch die genannten Faktoren maßgeblich beeinflusst worden sind. Zugleich verstehe ich ihre Aufnahmen nicht als reine Träger von Bildinformationen, sondern als Agenten innerhalb einer visuellen Kultur: Sie wirken produktiv, helfen Identitäten zu definieren, Sicherheitsversprechen zu liefern und das ideologische Gefüge, dem sie entstammen, als Realität zu bestätigen. In diesem Sinne lassen sich Margaret Bourke-Whites Aufnahmen auch als Teil einer mentalen Landesverteidigung oder “Armierung“ verstehen, die über das Sehen von Bildern funktioniert. Die Frage nach „Bildern als Regierungstechnologien“[1] beschäftigt seit den Ereignissen vom 11. September 2001 zunehmend Kunstwissenschaftler wie Linda Hentschel und Tom Holert und soll nun auch für historisches Fotomaterial fruchtbar gemacht werden.

Die Untersuchung gliedert sich grob in drei Abschnitte. Der erste widmet sich den visuellen Mitteln, mit denen Margaret Bourke-White versuchte, in der US-Bevölkerung Akzeptanz für den Krieg zu schaffen und die nationale Identität der USA zu stärken. Im Vordergrund steht dabei die Figur des Soldaten und die Bezugnahme auf positiv besetzte Motive der amerikanischen Populärkultur, die eine rückversichernde Kontinuität der zivilen und militärischen Welt versprachen. Unter dem Leitgedanken der Metaphern eines erweiterten Schlachtfelds widmet sich der zweite Teil den unterschiedlichen Verfahren, das Aufeinandertreffen der Kriegsgegner und die Position der USA innerhalb dieses Kräftemessens zu visualisieren. Naheliegende Themenfelder wie Kriegslandschaften und Kampfaufnahmen werden dabei genauso berücksichtigt wie Fragen des verletzten Körpers oder der Kriegswirtschaft.

Neben der Analyse einzelner Motivbereiche wird auch der visuelle Zugriff auf das Kriegsereignis, den die Fotografin dem Betrachter ermöglicht, in Hinblick auf seine ideologische Instrumentalisierung untersucht. Bourke-White arbeitet mit Kompositionen, die den Betrachter einerseits als Augenzeugen installieren, ihn andererseits aber auch räumlich oder optisch vom Kriegsgeschehen distanzieren. Der Betrachter nimmt die Ereignisse durch einen technologisch oder sozial privilegierten Filter wahr, sodass er in einem Spannungsverhältnis zwischen Nähe und Distanz verharrt.

Zentral – auch im letzten Abschnitt der Dissertation, der sich auf das Bild des Feindes konzentriert – ist die Frage, wie sie reale und imaginierte Machtverhältnisse des Krieges in ihren Fotografien kommuniziert. Am Beispiel der Aufnahmen aus deutschen Konzentrationslagern, aber auch des Lebensalltags der deutschen Zivilbevölkerung sollen Mechanismen aufgezeigt werden, mithilfe derer sie militärische, moralische und kulturelle Überlegenheit markiert. Zugleich wird untersucht, wie über die unterschiedliche Kodierung der Figur der „Opfer“ auf subtile Weise die politische Meinungsbildung vorangetrieben wurde.

Die Dissertation möchte zeigen, dass Bilder aus kriegerischen Konflikten keineswegs “unschuldige Zeugen“ sind, sondern dass sich politische und gesellschaftliche Agenden damit verknüpfen, die es zu untersuchen gilt. Sie zeichnet nach, wie Margaret Bourke-Whites Fotografien gestaltet und eingesetzt wurden, um in unterschiedlichen Phasen ein bestimmtes Bild des Krieges zu vermitteln. Ihre Wirksamkeit verdankt sich dabei der Anbindung an bereits existierende Bild- und Wissensräume wie etwa dem Hollywoodkino, der zukunftsgläubigen Industrie- und Technikkultur der späten Zwanziger Jahre, dem Credo nationaler Einheit des New Deal, Paradigmen der sozialdokumentarischen Fotografie der 1930er-Jahre sowie allgemein etablierten Wertesystemen der amerikanischen Gesellschaft.

Aufgrund der Fülle des vorhandenen Materials kann meine Arbeit einen Überblick von neuen Interpretationsmöglichkeiten geben und neue methodische Ansätze aufzeigen. Weitere Detailanalysen, auch in Hinblick auf bis dato kaum beachtete Fragen der Selbstrepräsentation oder des Geschlechts, müssen folgen.

 

Institution: Institut für Kunstgeschichte, LMU München
Betreuerin: Prof. Dr. Burcu Dogramaci
Kontakt: maria.schindelegger@gmx.at

 


[1] Linda Hentschel, Haupt oder Gesicht? Visuelle Gouvernementalität seit 9/11, in: Linda Hentschel (Hrsg.): Bilderpolitik in Zeiten von Krieg und Terror. Medien, Macht und Geschlechterverhältnisse, Berlin 2008, S. 195.

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