Eszter Kiss, M.A.

Robert Capa, André Kertész, Stefan Lorant – was verbindet diese Fotoprofis, abgesehen von ihrem weltweit bekannten Engagement im Bereich des Visuellen? Sie alle haben ungarische Wurzeln und wurden weltberühmt, nachdem sie ihr Heimatland verlassen haben.

Die oben angeführte Liste ließe sich noch weiter fortsetzen. Man braucht nur an Lucien Hervé oder Martin Munkacsi zu denken. Welche Bedeutung hatten diese Fotografen, die Foto-Ikonen des 20. Jahrhunderts wie „The Falling Soldier“ (Robert Capa) erschufen, für Ungarn und die fotografische Tradition des Landes? Besonders spannend ist die Frage angesichts der Tatsache, dass das Land zwischen 1945 und 1989 zum sowjetischen Machtbereich gehörte. Die sich nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs im sozialistischen Ungarn entwickelnde fotografische Szene wusste um die großen Vorbilder. Wie aber war ein Kontakt oder gar die Zusammenarbeit mit den in den kapitalistischen Ländern lebenden Künstlern, wie beispielsweise André Kertész, möglich?

Seit dem Systemwechsel 1989/1990 bilden die erwähnten Fotografen zunehmend einen zentralen Bezugspunkt für die ungarische Fotografie. Große Werkschauen für einzelne Künstler wie die Brassaï-Ausstellung im Ludwig Múzeum (2000) oder die Lucien Hervé-Schau im Szépművészeti Múzeum (2010) brachten in den letzten zehn Jahren das Leben und Wirken von Capa und Co. auch dem breiteren Publikum näher. Größere Überblicksschauen wie beispielsweise „Seele und Körper“, 2008 im Szépművészeti Múzeum präsentiert, zogen lange Linien, indem sie die Zusammenhänge zwischen den Werken ungarischer Fotokünstler und weltberühmter Fotografen wie Dorothea Lange oder Man Ray aufzeigten. Wo geht die Reise hin? Welchen Stellenwert nimmt die Fotografie im 21. Jahrhundert in der ungarischen Kulturlandschaft ein? Unklar ist nicht nur, wie man die adäquate Auseinandersetzung mit der Fotogeschichte sowie den aktuellen Entwicklungen in der Branche sicherstellt, beispielsweise in Form einer institutionellen Infrastruktur bestehend aus Museen, Ausbildungsstätten und/oder Forschungseinrichtungen. Vielmehr fehlt auch die Antwort in vielen Fällen auf die Frage, was mit den Nachlässen von Fotografen, die während der Kádár-Ära ihr Lebenswerk erstellten, passieren soll. Eine wichtige Frage, schließlich handelt es sich bei den Aufnahmen um das visuelle Gedächtnis des Landes gespeist aus den Jahrzehnten zwischen 1957 und 1989.

Zu guter Letzt bleibt aus historischer Perspektive eines der spannendsten Elemente der Fotografie der Fotografierende selbst! Ohne die Untersuchung der Akteure (Fotografen, Bildredakteure und Kuratoren), ihrer Motivation, ihres Berufsethos sowie der spezifischen Art der Ausübung ihrer Tätigkeit würden uns grundlegende Informationen für die Beschäftigung mit den Bildern fehlen.

 

Lebenslauf

seit September 2012
Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam im Projekt „Visual History. Institutionen und Medien des Bildgedächtnisses“
Thema: „Die Wege der Fotografien im Staatssozialismus. Bildpolitik und Bildsteuerung im sozialistischen Ungarn zwischen 1965 und 1989“
Betreuerin: PD Dr. Annette Vowinckel

seit Dezember 2010
Freiberufliche Tätigkeit als Bildungsreferentin bei der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas

2011-2012
PR-Volontärin bei der Kommunikationsagentur Media Consulta

2011
Leonardo da Vinci Stipendium der EU in London: Mitarbeit im Jewish Museum London sowie Museum of London / Museum of London Docklands

2007-2010
Zunächst studentische Mitarbeiterin, später Koordinatorin im Ort der Information des Denkmals für die ermordeten Juden Europas

2002-2007
Vollstipendium des Deutschen Akademischen Austauschdienstes

2002-2009
Studium der Kulturwissenschaft, Neueren und Neuesten Geschichte sowie Publizistik- und Kommunikationswissenschaft an der Humboldt-Universität zu Berlin und der Freien Universität Berlin
Abschluss: Magister Artium
Thema der Magisterarbeit: „Grenzgänger, Flaneur, Gambler. Moderne Typologien des Fotografen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts“

 

Publikationen

Von dem Großstadtplatz zum Weltstadtplatz. Der “Alex“ nach dem Ersten Weltkrieg, in: Alexander Schug (Hg.), Fünf Plätze – ein Name. Der Berliner Alexanderplatz, Berlin 2008, S. 73-97.

„more drinks, more girls, better pay, and greater freedom“. Dem Kriegsfotografen und Draufgänger Robert Capa zum Hundertsten, in: Zeitgeschichte-online, November 2013, URL: http://www.zeitgeschichte-online.de/geschichtskultur/more-drinks-more-girls-better-pay-and-greater-freedom