Medien, Stadtplanung und städtische Öffentlichkeit in Berlin im 20. Jahrhundert

Der Stellenwert von Visualisierungen in der öffentlichen Planungskommunikation

Collage aus Fotos, Karten, Luftbildern, Schwarzplänen, Stadtteilplänen und Text zum Überblick über die Geschichte der Stadtentwicklung in der Luisenstadt im Rahmen der Internationalen Bauausstellung IBA 84. Quelle: FHXB Friedrichshain-Kreuzberg Museum ©

Wir leben gegenwärtig in einer zunehmend von Medien bestimmten Welt, die durch die beinahe ubiquitäre Medienpräsenz alle Lebensbereiche mehr und mehr durchdringt und somit auch immer rasanter verändert. Dabei nehmen Visualisierungen als Mittel zur Sichtbarmachung, vereinfachenden Darstellung sowie Vermittlung abstrakter oder komplexer inhaltlicher Zusammenhänge einen allumfassenden Stellenwert in gegenwärtigen Kommunikationsprozessen zu beinahe allen Themenbereichen ein.[1]

Die Begriffe Medialisierung und Medienwandel versuchen, das Zusammenwirken von technologischen Innovationen, kommunikativen Veränderungen sowie Digitalisierungs- und Globalisierungsprozessen mit dem Wandel von Gesellschaft und Kultur wissenschaftlich zu erklären.[2] Interdisziplinäre Forschungen ergründen dabei eine Vielzahl an relevanten Faktoren dieses Medienwandels und führen stets die Prozesshaftigkeit und stete Dynamik des Medienwandels an, ohne dabei aber der historischen Komponente komplexer prozessualer Entwicklungen große Aufmerksamkeit zu schenken. Obwohl die Medien- und Kommunikationsgeschichte bereits seit den 1970er Jahren medienbezogene Forschung betreibt, sind die Erforschung medienhistorischer Prozesse sowie Aspekte der Mediennutzung eher neuere Ansätze. Die mit dem iconic turn in den 1990er Jahren durchgesetzte Einsicht der Relevanz visueller Quellen hat zum einen die interdisziplinäre, zum anderen die thematische Ausdifferenzierung von Forschung zu und über (visuelle) Medien begünstigt.[3]

Trotz der Ausweitung des traditionellen historiografischen Quellenkanons durch die Visual History-Forschung und somit einer Abgrenzung vom bildanalytisch-fokussierten Gegenstandsbereich der Kunstgeschichte fielen einige Aspekte bisher weitestgehend heraus – so auch die Planungsgeschichte. Obwohl Visualisierungen als „Kommunikationsbeschleuniger“[4] seit der Etablierung einer professionellen Stadtplanungs-Disziplin hohe Relevanz besaßen und sich parallel zum Aufstieg der Massenmedien Print und Fotografie zu Beginn des 20. Jahrhunderts verorteten, wurde die komplexe Rolle visueller Medien für die Stadtplanungsgeschichte bisher jedoch weitestgehend in geschichtswissenschaftlichen Betrachtungen ausgespart.

Vizepräsident der Deutschen Bauakademie Edmund Collein am Modell der Bebauung der Stalinallee (1952). Quelle: Landesarchiv Berlin ©

Das seit April 2017 laufende Dissertationsprojekt untersucht den sich wandelnden Medieneinsatz und Stellenwert von Visualisierungen in lokalen Stadtplanungsdebatten der Berliner Öffentlichkeit im Laufe des 20. Jahrhunderts. In der sozial- und medienhistoriografischen Arbeit werden anhand ausgewählter Beispiele der Berliner Bebauungsgeschichte aus verschiedenen Zeitphasen (zwischen1910 und 1990) schlaglichtartig zeitgenössische Schnittpunkte zwischen Stadtplanung, Gesellschaft, Öffentlichkeit sowie Medientechnologie und -einsatz erforscht. Um die historischen Prozesse von Mediatisierung und Medienwandel einzuordnen, sollen die Erkenntnisse zu Nutzung und Stellenwert von visuellen Medien aus den Fallbeispielen in Form einer diachronen Vergleichsgeschichte systematisch kontextualisiert werden. Dabei wird zum einen die Frage berücksichtigt, inwieweit sich bestimmte Strategien im Einsatz von Visualisierungen erkennen lassen; zum anderen, ob mögliche Kontinuitätslinien bzw. Brüche der Mediatisierungs- und Visualisierungsprozesse im Verlauf des 20. Jahrhunderts für Berlin herausgestellt werden können.

Ein Stadtmodell als Medium zur Information der Öffentlichkeit, Berlin 1956. Quelle: Landesarchiv Berlin ©

Der Begriff der Planungskommunikation nimmt dabei eine zentrale Rolle ein, da sich das Forschungsvorhaben auf den Einsatz visueller Mittel im Austausch- und Verständigungsprozess zwischen Planern und Öffentlichkeit fokussiert. Damit sind auch stadtbaukulturelle Kontexte verbunden, wie das sich wandelnde Verständnis und die Rollenzuschreibung von stadtplanerischer Kompetenz, Verantwortung, Zuständigkeiten sowie Entscheidungsgewalten an Stadtplanungsprozessen. So soll die ursprüngliche Annahme, dass Visualisierungen komplexe Zusammenhänge vereinfachend darstellen, dahingehend hinterfragt werden, dass die visuelle Abstraktion auch zu Problemen in der öffentlichen Rezeption führen kann.

Medien-Bus zur Vermittlung von Wettbewerbsergebnissen zu den „Strategien für Kreuzberg“ 1977, aus: Volker von Tiedemann u.a., Bürgerbeteiligung bei der Stadterneuerung. Beispiel: Strategien für Kreuzberg, Bonn 1980 ©

Im historischen Kontext erscheint vor allem die Vermittlung städtebaulicher Planung als Vorstellung einer relativ kleinen Expertengruppe an eine Laien-Öffentlichkeit vordringlich. Aber auch Visualisierungen von der allgemeinen Öffentlichkeit als Kommunikationsstrategie an die stadtplanerischen Instanzen und Entscheidungsträger spielten eine maßgebliche Rolle in Stadtplanungsdebatten, vor allem in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. So kulminierten beispielsweise die öffentlichen Forderungen – zum einen nach Transparenz von, zum anderen nach gesellschaftlicher Beteiligung an Planungs- sowie Entscheidungsprozessen – mit dem zeitgenössischen Medienwandel und bedingten neue Formen bzw. die Ausdifferenzierung, Umfunktionierung oder den Verwurf alter Formen visueller Kommunikation.

Plakat und Fotomontage der „Edition Konsequent“ gegen die Kahlschlagsanierung, 1977. Quelle: FHXB Friedrichshain-Kreuzberg Museum ©

Bei den in der Forschungsarbeit analysierten visuellen Medien kommen neben klassischen Medienformaten, wie Fotografien, Abbildungen und Videomaterial, vor allem in der Forschung bisher nur marginal berücksichtigte Formate hinzu, wie Diapositive, Schwarzpläne, modifizierte Stadtpläne und Stadtteilkarten („Engagement-Karten“), Luftbilder, Statistiken, 3D-Stadtmodelle oder Collagen. Die betrachteten Medien sollen nicht losgelöst von Textquellen behandelt werden, sondern gleichwertig neben diesen Anwendung finden, da meist erst unter Hinzunahme dazugehöriger Schriftlichkeit die Komplexität der Visualisierungen erfasst werden kann. Im Zuge der systematischen Kontextualisierung und des diachronen Vergleichs der funktionsanalytischen Untersuchung dieser neuen Bandbreite visueller Medien schwingt die Frage mit, inwieweit etablierte visuelle Medien umgenutzt, auf andere Anwendungsgebiete erweitert bzw. auf Teilanwendungen reduziert und spezialisiert wurden.

 

[1] Vgl. Philipp Sarasin, Bilder und Texte. Ein Kommentar, in: WerkstattGeschichte 47 (2008), S. 75-80; Christine Brocks, Bildquellen der Neuzeit, Paderborn 2012, S. 9-13.

[2] Vgl. Susanne Kinnebrock/Christian Schwarzenegger/Thomas Birkner (Hg.), Theorien des Medienwandels – Konturen eines emergierenden Forschungsfeldes?, in: dies. (Hgg.), Theorien des Medienwandels, Köln 2015, S. 11-28.

[3] Vgl. Werner Faulstich, Die Mediengeschichte des 20. Jahrhunderts, München 2012.

[4] Vgl. Gerhard Paul, Von Feuerbach bis Bredekamp. Zur Geschichte zeitgenössischer Bilddiskurse. Teil 3: Das wiedervereinigte Deutschland, in: Visual History. Online-Nachschlagewerk für die historische Bildforschung, 29.02.2016, www.visual-history.de/2016/02/29/von-feuerbach-bis-bredekamp-zur- geschichte-zeitgenoessischer-bilddiskurse-3/.

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