Fabrikation eines Verbrechers

Studien zur Medialisierung des Bösen

Lüdke-Darsteller Mario Adorf posiert mit einem Schattenriss-Porträt des vermeintlichen Massenmörders. Filmstill für die Bewerbung von Robert Siodmaks Spielfilm „Nachts, wenn der Teufel kam“ (1957), Fotograf: unbekannt; Akademie der Künste Berlin, Mario-Adorf-Archiv, Adorf 487 ©

1944 ließen Kriminalpolizisten aus dem Reichssicherheitshauptamt den zwangssterilisierten Berliner Kutscher Bruno Lüdke in Wien ermorden. Nach dem Krieg nutzten Journalisten Akten der Kripo, Tatortfotos, eine Büste und einen Handabdruck Lüdkes für großangelegte „Enthüllungen“ in illustrierten Zeitungen. Die Presse der 1950er Jahre war sich einig: Lüdke sei der „größte Massenmörder in der Kriminalgeschichte“. International populär wurde der Kriminalfall durch Robert Siodmaks preisgekrönten Film „Nachts, wenn der Teufel kam“ mit Mario Adorf in der Rolle des geisteskranken Verbrechers. In den 1990er Jahren erlangte der Mythos im Kontext des Serial Killer-Hypes erneut mediale Aufmerksamkeit. Im Internet findet sich die Legende bis heute.

Dieser kriminalistische, journalistische und filmkünstlerische Stoff ist Ausgangspunkt für unser Forschungs- und Bildungsprojekt zur Geschichte der Medialisierung des Bösen. Am Beispiel der Überlieferungen zu einem vermeintlichen Serienmörder werden medien- und kulturhistorische, kriminalistische und kulturanthropologische Analysekonzepte und Methoden zur Gewalt- und Verbrechensgeschichte des 20. Jahrhunderts und ihren Repräsentationen erprobt und vorgeführt.

„Fabrikation eines Verbrechers“ rekonstruiert, unter welchen Bedingungen der Fake im Nationalsozialismus entstand und warum er sich in der Bundesrepublik als True Crime etablieren konnte. Mediengeschichte von Kriminalität wird dabei in zweifacher Hinsicht betrieben: als Geschichte von operativen Medien kriminalpolizeilicher Praxis einerseits und andererseits als Geschichte über öffentlich-mediale Darstellungen von Verbrechen, Tätern und Verdächtigen. Die Studie diskutiert exemplarisch die Konstruktion des Bösen und Anormalen und ihre gesellschaftlichen Funktionen in Diktatur und Demokratie.

„Die SS schlägt nachts zu“, die plakative Deutung von Robert Siodmaks Filmparabel im Poster von Clément Hurel für die französische Kinoauswertung von „Nachts, wenn der Teufel kam“. Frankreich 1959, 161 x 116 cm; Sammlung Axel Doßmann, Berlin

Damit unser Sachbuch auch visuell neue Einsichten bietet, Entdeckungen provoziert und intellektuelles mit ästhetischem Vergnügen verbindet, arbeiten wir mit dem Verlag Spector Books Leipzig zusammen. Buchgestaltung wird von diesem international anerkannten Verlag als genuiner Teil künstlerischer und wissenschaftlicher Erkenntnisprozesse begriffen. Unser Vorhaben will im Sinne einer Werkstatt in Erfahrung bringen, ob und wie an der Schnittstelle von Wissenschaft und Grafikdesign die Potentiale des Mediums Buch ausgenutzt und erweitert werden können für akademische Forschung und Lehre sowie historische und politische Bildung. Die Verknüpfung von Texten und Bildern soll stets inhaltlich motiviert sein und eigene argumentative Stärke gewinnen. Auch darum kooperieren die Autorin und der Autor sowie der Grafiker für die visuelle Präsentation der Quellen mit zwei Dokumentarfotografen.

Die Arbeit an den oft sensiblen Artefakten und Sammlungsbeständen zum Kriminalfall fordern ethische und ästhetische Haltungen ein, die über das konkrete Beispiel hinausweisen. Historische und ästhetische Kontexte wollen wir mit eigenen Bildmontagen in den Blick rücken: Wo war ein Artikel einst platziert? Wie ändert sich der Blick, wenn man auf eine Bildlegende bewusst verzichtet? Indem wir viele der besonders wichtigen oder signifikanten Quellen zum historischen Kriminalfall und seiner Popularisierung vollständig wiedergeben, ermöglichen wir den Nachvollzug unserer Zitierweisen in den analytischen Texten und geben Einblick in unsere De- und Rekonstruktionen. Im Ergebnis soll damit eine Visual History über Kriminalität, Gewalt und rassistische Menschenbilder entstehen, die vom 19. Jahrhundert bis in unsere Gegenwart reicht.

 

Axel Doßmann/Susanne Regener, Fabrikation eines Verbrechers. Der Kriminalfall Bruno Lüdke als Mediengeschichte, Leipzig 2018

 

Der Karlsruher Fotograf Jonas Zilius bei der Arbeit an der Büste von Bruno Lüdke im Department für Gerichtliche Medizin der Medizinischen Universität Wien; Foto: Susanne Regener 2014 CC BY-NC 4.0

Gipsabdruck von Lüdkes rechter Hand aus dem Jahr 1943, präsentiert von Susanne Regener, Polizeihistorische Sammlung Berlin; Foto: Jonas Zilius 2015 CC BY-NC 4.0

 

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