Das Bild des deutschen „Wirtschaftswunders“
in der Kino-Wochenschau

Verkehrsaufkommen in Berlin 19.12.1960 © Bundesarchiv

Verkehrsaufkommen in Berlin, NDW- Jahresrückblick von 19.12.1960. Das Bild wurde während einer Ansprache Ludwig Erhards gezeigt, in der er Luxus- und Konsumkritik übt. Der Abschnitt ist überschrieben mit „Apokalyptische Visionen im Zeitalter der Massen“. © Bundesarchiv

Woher kommt das Bild von Deutschland als einem Land, in dem durch Fleiß und Kraft sowie dank eines „Wirtschaftswunders“ der Wiederaufbau nach dem Krieg gelang? Wie stellten Medien als „Agenten des sozialen Wandels“ das „Wirtschaftswunder“ dar? Bis zur Etablierung des Fernsehens in Deutschland Ende der 1950er-/Anfang der 1960er-Jahre war die Wochenschau die einzige Nachrichtenquelle, die durch laufende Bilder die Vorstellungen einer breiten Öffentlichkeit prägen konnte. Im Projekt geht es daher um die Frage, wie die Wochenschau zum kollektiven Erinnerungsbild: „Wir sind wieder wer!“ beitragen konnte.

Für die Beschäftigung mit diesem Thema ist Eile geboten. Einschlägige Filmarchive sind von Schließung bedroht, obwohl Historiker/innen den Film inzwischen vermehrt als wissenschaftliche Quelle nutzen und Fernsehredaktionen gern historische Filmdokumente als Belege in Doku-Dramen einbinden. Als reine Illustration sind die Wochenschau-Bilder jedoch meist aus ihrem Zusammenhang gerissen und für das tiefere Verständnis des Zuschauers wenig wertvoll. Schon im Umgang der Fernsehredakteure mit dem Material besteht die Gefahr, dass die Bilder verfälschend eingesetzt werden, wenn der Produktionskontext, typische Darstellungsstrategien und die historische Einordnung unerwähnt bleiben.

Doch Produktionsunterlagen wurden und werden selten als wichtig erachtet und bei der Archivierung vernachlässigt. Zeitzeugen, die darüber Auskunft geben könnten, sind immer weniger verfügbar. Auch hier müssen sich Wissenschaftler beeilen, um Entwicklungszusammenhänge und Produktionsumstände im Sinne der New Film History (Paul Kusters) bei der Interpretation von Medien einbeziehen zu können. Die filmischen Darstellungsprinzipien aus den 1950er-Jahren sind darüber hinaus eine der Grundlagen für heutige „Audiovisionen“ (Siegfried Zielinski), deren Entwicklung keineswegs abgeschlossen ist.

Kern des Projekts ist ein Vergleich der Wochenschau-Produktionen, die in der Zeit des wirtschaftlichen Aufschwungs von 1950 bis 1965 in West- bzw. Ostdeutschland gezeigt wurden. In mehreren Aspekten werden Unterschiede in der Berichterstattung herausgestellt:

(1) ästhetische Gestaltung (Bild, Musik, Stimme)
(2) inhaltliche Aufbereitung (Text) und
(3) audiovisuelle Darstellungsmuster (Beitragskonzeption).

Export von Lokomotiven nach Indien, ; NDW Jahresrückblick vom 21.12.1952, © Bundesarchiv

Export von Lokomotiven nach Indien – Verladung im Überseehafen Bremen; NDW Jahresrückblick vom 21.12.1952, (ursprünglich aus der Wochenschau „Welt im Bild“ Nr. 10 vom 2.9.1952) © Bundesarchiv

Basis der Untersuchung ist die Analyse der Wochenschau-Filme als Primärquelle. Sie wird um eine historische Rezeptions- und Kommunikatorforschung in Bezug auf neu recherchierte Belege zu den Produktionsvorgängen (wie damals genutztes Recherchematerial, Aufnahmeberichte der Kameraleute und redaktionelle, interne Mitteilungen) sowie um Sitzungsprotokolle der Entscheidergremien sowie zeitgenössische Kritiken ergänzt. Somit können die verschiedenen ökonomischen, technischen, politischen und kulturellen Einflüsse auf die Medienentwicklung und die Berichterstattung berücksichtigt werden.

 

Weitere Informationen über den Stand des Projekts und Hinweise auf Publikationen finden sich unter:

wochenschau forschung

 

Pressekonferenz von Konrad Adenauer in Bonn 16.6.1953

Pressekonferenz von Konrad Adenauer in Bonn (anlässlich der Verabschiedung von General Ridgway); NDW Nr. 177 vom 16.6.1953 © Bundesarchiv

 

 

Folgende Beiträge könnten Sie auch interessieren:

Artikel kommentieren

Ihre Email wird nicht veröffentlicht.

AlphaOmega Captcha Historica  –  Whom Do You See?