Das Leben als Expedition

In den „Zeithistorischen Forschungen“ Heft 1/2017 untersucht die Hamburger Historikerin Monica Rüthers die Fotoalben eines sowjetischen Kraftwerksingenieurs

Fotoalbum Viktor Vasil’evic Naugol’nov

Im Laufe der 1940er- bis 1970er-Jahre hielt Viktor Vasil’evic Naugol’nov seine Erlebnisse als Kraftwerksingenieur in Wasserkraftwerken an der Wolga, in Zentralasien, im südrussischen Kuban und im sibirischen Tomsk in Bildern fest. Obwohl private Fotoalben eigentlich nicht zum Sammlungsbestand russischer Archive gehören, fanden fünf Alben seiner Familie den Weg in das staatliche Museum und Ausstellungszentrum ROSFOTO.

Ohne zusätzliche Informationen über die Alben zu haben, unternimmt Rüthers eine Rekonstruktion in vier Arbeitsschritten: „In einem ersten Schritt geben das Abgebildete und die (knappen) Beschriftungen Auskunft über örtliche und zeitliche Bezüge, materielle Kultur, Alter, Generationenzugehörigkeit und soziale Beziehungen der Menschen. In einem zweiten Schritt können die aufgerufenen Kontexte recherchiert werden – hier als Hintergrund die Ingenieure als ‚Klasse‘, die sowjetische innere Expansion seit 1945 und die örtlichen Verhältnisse. In einem dritten Schritt werden die Fotografien und die Alben als Artefakte betrachtet. Auf die Fragen nach Entstehungszeit und Urheberschaft folgen in einem vierten Schritt Fragen nach Bedeutungen bestimmter Anordnungen und Gebrauchsspuren der Alben. So entfalten sich aus den Bildern und ihrer Komposition visuelle Narrative.“[1]

Fotoalbum Viktor Vasil’evic Naugol’nov

Sie kommt zu dem Schluss: „Die Narrative des Sowjetischen als Kontext werden in der Identifikation mit der Aufgabe und der eigenen Rolle, in der Aneignung der Bildprogramme des Sozialistischen Realismus wie auch des Blicks auf die Peripherie deutlich. Das Imperiale scheint auf in der Rolle des Ingenieurs als Pionier, Eroberer und Kulturträger. Die Expedition war eine Form der Aneignung der Peripherie, während die Pilgerfahrt nach Moskau mit der halbwüchsigen Tochter ebenso wie die Außenperspektive auf den Direktor und das Telefon auf seinem Tisch die Rückbindung an das Zentrum symbolisierten. Zum imperialen Raum gehörte auch der ästhetische Raum des Sozialistischen Realismus, dessen Bildsprache als Teil eingeübter Praktiken der Wahrnehmung und Deutung sowjetischer Gegenwart die Alben des Ingenieurs prägte. Wie zahlreiche Zeitgenossen übersetzte Naugol’nov nicht nur ‚seine Umwelteindrücke in die Erzählmuster und Bildprogramme des Sozialistischen Realismus, sondern auch seine Wünsche und Empfindungen‘.[2] Ein gewisser Eigensinn manifestierte sich in der Selbstdarstellung als Künstler-Fotograf. Mangels ergänzender Schriftquellen muss es hier bei den Indizien bleiben, die die Bilder und ihre Komposition in den Alben preisgeben. Ich habe zu zeigen versucht, dass dies nicht wenig ist.“[3]

Den vollständigen Artikel mit weiteren Auszügen aus dem Fotoalbum finden Sie online unter: Zeithistorische Forschungen Online-Ausgabe, 14 (2017).

 

 

 

 

 

[1] Monica Rüthers, Das Leben als Expedition. Die Fotoalben eines sowjetischen Kraftwerksingenieurs (1940er- bis 1970er-Jahre), in: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History, Online-Ausgabe, 14 (2017), H. 1, URL: http://www.zeithistorische-forschungen.de/1-2017/id=5457, Druckausgabe: S. 128-148, hier S. 129.

[2] Sandra Dahlke, Individuum und Herrschaft im Sozialismus. Emel’jan Jaroslavskij (1878–1943), München 2010, S. 394.

[3] Rüthers, Leben als Expedition, S. 147f.

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