Aufnahmezustand

Die Bildgeschichte der „Flüchtlingskrise“ 2015 und die Historische Psychologie Aby Warburgs

Historische Psychologie

Während des Ersten Weltkriegs arbeitete der Bild- und Kulturhistoriker Aby Warburg an einer Studie über Bilderkämpfe mit dem Titel „Heidnisch-antike Weissagung in Wort und Bild zu Luthers Zeiten“, die dem Phänomen einer „Renaissance der dämonischen Antike im Zeitalter der deutschen Reformation“ gewidmet war.[1] Der klassisch gewordene Aufsatz weckte auch deshalb das wissenschaftshistorische und wissenschaftstheoretische Forschungsinteresse, weil sich mit dem Text eine zentrale Position der bild- und ideenhistorischen Geschichtsforschung verbindet: Historische Ereignisse, Formulierungen und Artefakte können miteinander verglichen werden, obwohl sie chronologisch betrachtet sehr weit auseinanderliegen.[2] So zielten Warburgs Erörterungen auf das Mythisch-Okkulte im Altertum wegen dessen überraschender, der modernen Aufgeklärtheit trotzender Wiederkehr sowohl durch die Astrologie in der Lutherzeit als auch durch den Aberglauben an den Schutz vor feindlichen Kugeln durch Bildmagie bei Soldaten während des Ersten Weltkriegs.[3]

In dem Vortragstext von 1920 über das Nachleben der Antike in und durch Konflikte wurde die Forderung nach einer streng kontextbezogenen Interpretation in Bezug auf den mittelbaren historischen und den unmittelbaren zeitgeschichtlichen Rahmen gleichermaßen unterlaufen oder überboten. Denn dass sich Geschichte nicht wiederholt, trifft sehr wohl auf die konkreten historischen Momente zu. Doch gerade diese Momente können als Ereignisse, Formulierungen und Artefakte zu Umwertungen von Grundmustern des Selbst- und Weltverhältnisses wie z.B. der Idee der Freiheit oder der Idee des Staates führen. In diesem Sinne ist die Wiederkehr von normativem Wissen durch dessen Transformation, d.h. die Wiederholung sittlicher Prinzipien durch deren Variation in der Geschichte und im Diskurs Gegenstand der vergleichenden Ideengeschichte. Diese Botschaft verknüpfte Warburg 1920 mit der „Bildgeschichte“[4] als einem auch psychologisch vergleichenden Modell der Erforschung historischer Konflikte als Grundlage eines Korrektivs der politischen und sozio-kulturellen Gegenwart.

Eine Bildgeschichte der „Flüchtlingskrise“ würde an der Komplexität dieser von Warburg ikonologisch verfolgten „Gegenwartsbedeutung der historischen Psychologie“[5] zu messen sein. Die Notwendigkeit dazu begründet sich nicht zuletzt durch die näher zu betrachtende, emotional enorm aufgeladene Befehdung der Willkommenskultur seit 2015 in der Bundesrepublik. Mit Warburg besteht für diese „hohe Emotionalität“ der Gegner der Willkommenskultur eine Zuständigkeit der Bildwissenschaft.[6] Als „historische Psychologie“ ist sie zugleich eine Alternative zu national-völkischen Formen der Sozialpsychologie wie der Völkerpsychologie und anderen Vorstellungen des Identitären als Angriffe gegen die integrativen Vorstellungen der Willkommenskultur. Deren Akteure wurden von ihren Gegnern nicht erst seit 2015 mit dem in seiner merkwürdigen Polarisierung schon signifikanten Schimpfwort „Gutmensch“ bedacht.[7] Als würde sich zwischen Weltoffenheit und „Grenzwächtertum“[8] die grundsätzliche Verschiedenheit gegensätzlichen Menschseins auftun, offenbarte sich während der „Flüchtlingskrise“ 2015 eine von national-konservativen und national-völkischen Parteien und Bewegungen geschürte markante, stark emotionale Feindseligkeit. Sie wird oft als vermeintliches Aufbegehren des sogenannten besorgten Bürgers bagatellisiert und wäre stattdessen oder gerade deswegen als Affekt kulturhistorisch zu problematisieren.

Niemand kann die an Besessenheit grenzenden, vollkommen enthemmten Verbalaggressionen gegen Bundeskanzlerin Angela Merkel am 26. August 2015 in der sächsischen Stadt Heidenau[9] oder gegen die gesamte Bundespolitik und ihre Ehrengäste während der Feierlichkeiten zum Tag der Deutschen Einheit am 3. Oktober 2016 in Dresden vergessen haben. Die krasse Wildheit dieser Vorkommnisse hat Untersuchungen über die Bilder und die Bildlichkeit der „Flüchtlingskrise“ bisher allerdings noch nicht bewirkt. Die aufwühlenden Ereignisse der „Flüchtlingskrise“ regten Bestandsaufnahmen darüber an, welches Image Flüchtenden und Migranten durch den Mediendiskurs zugewachsen war und welchen Anteil Bilder daran hatten.[10] In zahlreichen bedeutsamen Fotoausstellungen ist das Elend der Hilfesuchenden in ihren Herkunftsländern und während der mitunter monatelangen lebensgefährlichen Flucht vor Augen geführt worden.[11] In die Aufarbeitungen und Panoramen dieser bildgeschichtlichen Rückblicke wurden die extremen Formen der Hass-Kriminalität bei ausländerfeindlichen und völkischen Ausschreitungen wie denen in Heidenau oder Dresden jedoch nicht einbezogen, vermutlich wegen einer hierin zum Ausdruck gekommenen, kaum integrierbaren, monströsen Verweigerungshaltung. Aus der besonderen Feindseligkeit gegenüber Flüchtenden und den ihnen Helfenden wurden nicht allein Meinungen, sondern zumeist Wahrnehmungen und Gefühle zur Grundlage eines erbosten Widerspruchs,[12] der durch Aversionen gegen die vermeintliche „Lügenpresse“ sogar dokumentarische Berichte über Fluchtursachen und damit ganz allgemein die Not von Geflüchteten in Frage stellte.

Nach wie vor ratloses Kopfschütteln auslösende Eigenbezeichnungen wie „Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“ (PEgIdA) deuten an, dass die entschiedensten Gegner der Willkommenskultur in ihren Selbst- und Fremdwahrnehmungen die eigene Identität mit einem Kulturkampf verbinden.[13] „Wer Deutschland nicht liebt, soll Deutschland verlassen“ – dieser bei „PEgIdA“-Aufläufen oft skandierte Ruf erweist den auch nach innen gerichteten Kulturkampf als unversöhnlich, weil dessen Logik ebenso wie die jedes anderen identitären Demokratieverständnisses auf emotionalen oder mentalen Eigen- und Fremdzuweisungen von Tugenden und Defiziten fußt. Diese Unterscheidungen verweigern sich einer Grenzen überschreitenden, trotz aller Gegensätze noch verbindenden, d.h. Verständigung ermöglichenden gemeinsamen Sprache – in Wort und Bild.

Dieser Linie eines Konflikts nicht nur zwischen verschiedenen Meinungen, sondern zwischen gegensätzlichen Formen des Selbst- und Weltverhältnisses hätte sich eine Bildgeschichte der „Flüchtlingskrise“ zu stellen. Oder umgekehrt: In diesem Punkt vermag Bildgeschichte die „Flüchtlingskrise“ zu beschreiben. Ähnlich wie in den von Warburg untersuchten Glaubenskriegen der Lutherzeit oder des Nationalismus im Ersten Weltkrieg wurde auch in der „Flüchtlingskrise“ seit 2015 durch die ideologische Übersteigerung von Mentalitäten oder Identitäten die Gültigkeit universeller, nationale Grenzen überwindender humanitärer Werte bestritten.[14] Diese Angriffe resultierten 2015 aus einer sich selbst so begreifenden „Heimatliebe“, die zu Mythisierungen neigte.[15] Auch aus diesem Grund ist die von Affekten geprägte, höchst emotionale Befehdung der Willkommenskultur während der „Flüchtlingskrise“ 2015 der Fall einer Bildforschung im Anschluss an Warburgs Ikonologie. Sie lässt als „historische Psychologie“ selbst den Willkommenskultur-Gegnern die Chance, die sie treibenden Stimmungen und Gefühle nicht immer schon als „deutsch“ oder „normal“ normativ zu überhöhen, sondern als Affekte kulturgeschichtlich vergleichend zu hinterfragen.

 

Wiederbelebungen

Überschaut man die „Schlagbilder“,[16] die während der „Flüchtlingskrise“ Schlagzeilen machten, dann vermögen diese Bildgeschichte und ihre gesondert zu betrachtenden Bilderkreise die „historische Psychologie“ Warburgs auch zu schärfen. Nur auf den ersten Blick spricht die Tatsache, dass es in der „Flüchtlingskrise“ einen veritablen wechselseitigen, von den jeweiligen Kontrahenten in vergleichbarer Härte gegeneinander geführten Bilderkampf kaum gab, gegen eine innere Verwandtschaft der „Flüchtlingskrise“ 2015 mit den von Warburg sogenannten Bildpressefeldzügen der Propagandaschlachten des Ersten Weltkrieges.[17] Was Warburg an der Propaganda interessierte, waren nicht primär die psychologischen Techniken der Demoralisierung eines Feindes, sondern die mittels Bildern und Bilddeutungen erzeugte Überhöhung einer militärischen Konfrontation als existentieller, die Daseinsberechtigung des Gegners auch kulturell in Frage stellender Konflikt. Aus dieser Sicht einer „historischen Psychologie“ war die von Warburg untersuchte irritierende, „unheimlich wirkliche Wiederbelebung“ der „Dämonenfurcht“, der „abergläubigen Scheu“ oder der Deutungen „naturwunderlicher Vorzeichen“ Effekt einer missionarisch zu nennenden Feindschaft, d.h. das Indiz eines nicht mehr verhandelbaren, auf Leben und Tod auszutragenden Widerstreits.[18]

Die Willkommenskultur war jedoch nicht konfrontativ, sondern integrativ – wie auch immer diese Solidarität von ihren Gegnern erlebt worden ist. Dass für die Geflüchtetenhilfe nicht extra mittels Bildern oder anderer Kampagnen mobilisiert werden musste, ist für diese aus sich selbst heraus organisierte Hilfsbereitschaft der immer wieder am stärksten bewegende Beleg. Es gibt Bilder und eine Bildgeschichte der Willkommenskultur, aber keine extra und kampagnenmäßig mobilisierende Bildpolitik der Willkommenskultur – zumindest nicht in der jüngsten Etappe dieser integrationspolitischen Idee ab Herbst 2015.[19] Die Hass-Eskalation während der „Flüchtlingskrise“ vollzog sich daher nicht durch eine wechselseitig angeheizte Verachtung, wie es für die von Warburg untersuchte Propaganda charakteristisch ist. Ohnehin schien sich durch die völlig illegitimen, immer weiter einreißenden national-völkischen Hass-Botschaften via Internet und durch die um 2016 auf ein Vielfaches steigenden ausländerfeindlichen Straftaten jede Form der direkten gleichgeartet aggressiven, weiter eskalierenden Kommunikation – sogar jene mittels „Gegenbildern“[20] – in dieser Kontroverse von selbst zu verbieten. Dass „das Volk“ vielmehr selbst Integrationsmaßnahmen nötig hätte und Angebote dieser Art die bessere Antwort auf die Verwilderung und die Verhetzungen durch PEgIdA und AfD seien, ist die Grundlage von Gesprächsforen zwischen PEgIdA und der sächsischen Landesregierung in Dresden.[21]

Das anhaltende Engagement weiter Teile der Bevölkerung in der Geflüchtetenhilfe verstand sich darum wohl auch als mittelbare Reaktion oder indirekte Kommunikation im Kampf um die Willkommenskultur, deren Gegner immer gravierender und haltloser ihre verächtlichen „Zeichen setzten“ – durch Bilder oder die Gewalttat als „Bildakt“.[22] Doch gerade weil nach Maßgabe des kommunikativen Handelns die in der „Flüchtlingskrise“ tobende Hass-Kriminalität und deren ideologische „Wiederbelebungen“ unverständlich bleiben, wären zu deren Beurteilung die Kriterien einer „historischen Psychologie“ zu erproben.

 

Angela Merkel als Gesicht

Zu den besonders umkämpften Bildern der „Flüchtlingskrise“ gehört das Konterfei von Bundeskanzlerin Angela Merkel. Die Fülle der auf jede versteckte Regung lauernden Augenblicksfotografien und der fragwürdigen zuspitzenden Montagen ist ihrem Umfang nach nur mit jenen Physiognomien vergleichbar, die sich – wenn auch aus anderen globalpolitischen Zusammenhängen – über die Mimik Wladimir Putins oder Donald Trumps entwickelt haben. Zugleich kommt dieser provisorisch „Angela Merkel als Gesicht“ zu nennende Bilderkreis unter den zahlreichen verschiedenen, in der „Flüchtlingskrise“ ikonisch gewordenen Dokumenten[23] den von Warburg 1920 analysierten Bildzeugnissen am nächsten. Die „historische Psychologie“ dieser Objekte zielt dabei nicht auf die Einfühlung in die dargestellte Person, sondern auf das tiefere kulturhistorische Verständnis eines Konflikts durch die Visualisierungen, die er möglich werden lässt.

Nur aus dieser Perspektive werden Plakate diskutabel, die als Diffamierungen von Angela Merkel zum Markenzeichen der „PEgIdA“-Umzüge geworden sind und als Tiervergleiche jene abgründige „ungehemmte Derbheit“ wiederholen, die Warburg in seinen Überlegungen zu den Flugschriften der Lutherzeit über „Mönchskälber“ oder „Papstesel“ thematisierte.[24] Als Feindbilder sind diese Bildprodukte – darin liegt eine der Pointen der „historischen Psychologie“ Warburgs – gewiss keine vorbehaltlichen, nicht ernst gemeinten Karikaturen oder „Scherze“, wie die Schutzbehauptung des Urhebers des vielfach kommentierten, auf einer „PEgIdA“-Kundgebung mitgeführten symbolischen Galgens für Sigmar Gabriel und Angela Merkel am 12. Oktober 2015 lautete.[25] Der in ironischen Karikaturen immer noch bestehende „Denkraum der Besonnenheit“ ist in Schandbildern verkommen.[26] Als solche sind sie höchstens ein Psychogramm für die Schwere der konflikthaften Irritation, die ein herausfordernder historischer Moment auslöst.

Einen Eindruck davon vermittelt auch eine Studioprojektion der ARD-Sendung „Bericht aus Berlin“ mit Rainald Becker vom 4. Oktober 2015, genau einen Monat nach der Entscheidung von Bundeskanzlerin Merkel, den in Budapest von der Regierung Orbán sich selbst überlassenen Flüchtenden eine Zukunft in der Bundesrepublik zu gewähren. Die Collage zeigt Angela Merkel im Tschador, im Hintergrund der Berliner Reichstag von Minaretten flankiert. Gleich nach der Ausstrahlung der Sendung wurde dieses Bild als Übernahme der Optik von „PEgIdA“-Plakaten kritisiert. Im Gegenzug verteidigte die ARD-Redaktion das tendenziöse Bild als legitime journalistische Zuspitzung.[27] Der Bilderstreit gewinnt an Tiefenschärfe, wenn er nicht lediglich ästhetische Fragen der Angemessenheit oder Unangemessenheit von Ironie und Satire entscheiden soll. Karikaturen sind sichere Indizien der krisenhaften Verunsicherung, wenn sie als pointierte Überzeichnung nicht mehr zu Diskussionen führen, die das Ausbrechen von Konflikten verhindern können, sondern stattdessen nur noch polarisieren und dadurch Affekte der Feindschaft schüren. Daher sind Bilder nicht über, sondern in Konflikten wie die Studioprojektion im „Bericht aus Berlin“ ein Gegenstand der vergleichenden Bildgeschichte von Affekten als „historische Psychologie“ im Anschluss an Aby Warburg. Dass am 4. Oktober 2015 selbst in den öffentlich-rechtlichen Medien Bildmontagen im Stil der „PEgIdA“-Demonstrationen gezeigt wurden, beweist jedenfalls, wie dehnbar das Verständnis von Bildkultur sogar überparteilichen Akteuren erschienen ist, weil auch hier die „Flüchtlingskrise“ in einem bestimmten Moment affekthaft als bedrohlich feindliche Ausnahmesituation identifiziert wurde.

Womöglich entwickelte sich die Radikalität dieser Montagen auch in Reaktion auf die große Zahl einfühlsamer Porträtfotografien Angela Merkels, wie sie z.B. Moderationen der Nachrichtensendung „Tagesthemen“ in der ARD begleiteten. So zeigt die Studioprojektion der „Tagesthemen“ mit Caren Miosga vom 25. Januar 2016 die Kanzlerin in einer Totale, die dramatischen Face-to-Face-Effekten in filmischen Melodramen oder sogar Western-Filmen nicht unähnlich ist. (Abb. 1) Auch diese seit September 2015 stark verbreitete, der Bildsprache des Kinos entlehnte Ikonologie des entscheidenden Moments als Nahsicht auf die angespannten Gesichtszüge eines Entscheiders/einer Entscheiderin regt zu einer Bildgeschichte der „Flüchtlingskrise“ aus Sicht der „historischen Psychologie“ Warburgs an. Entfernt erinnert die „Tagesthemen“-Studioprojektion zunächst an Selfies, die das Porträt zu einer innerbildlichen Bestätigung der Echtheit von Fotografien, d.h. zu einer Chiffre des Authentischen haben werden lassen.

Abb. 1: Screenshot: „Tagesthemen“, 25. Januar 2016 © NDR media mit freundlicher Genehmigung

Diese mediale Dauerpräsenz des Gesichts bedeutet eine Zäsur in der Bild- und Ideengeschichte der Subjektivität, in deren Kontext auch die für die Bildgeschichte der „Flüchtlingskrise“ charakteristischen übergroßen Abbildungen von Politikergesichtern gehören. Diese Ikonografie wird zum Gegenstand einer „historischen Psychologie“ und vor allem zur Verkörperung eines immer persönlicher werdenden, d.h. von der persönlichen Gewissensentscheidung einer Politikerin immer stärker abhängenden und von Anfeindungen geprägten Konflikts. Die Physiognomie und die Mimik der Kanzlerin haben der Entwicklung der Flüchtlingspolitik von der anfänglichen Euphorie über die wachsenden innenpolitischen Spannungen durch die Interventionen von CSU-Chef Seehofer und den Ereignissen in der Silvesternacht in Köln bis hin zu dem europapolitischen Drama in Idomeni an der mazedonisch-griechischen Grenze und dem Flüchtlingsabkommen mit der Türkei buchstäblich ein Gesicht gegeben. (Abb. 2)

Abb. 2: Screenshot: „Tagesthemen“, 6. September 2016 © NDR media mit freundlicher Genehmigung

Die große auch emotionale Divergenz dieser Bilder und deren Publikation in Merkel-kritischen Beiträgen lässt jedoch kaum den Schluss zu, dass es sich hierbei um eine konzertierte bildpolitische Strategie als Antwort auf die erniedrigenden Obszönitäten seitens der Gegner der Willkommenskultur handelte. (Abb. 3) Die Präsenz der Kanzlerin als Gesicht ist Teil der Bildgeschichte der Willkommenskultur, aber kein Beleg einer taktischen Bildpolitik, wie sie zeitgleich in diffamatorischer Form auf „PEgIdA“-Zusammenkünften oder auf rechtsgerichteten Websites zu einer erschreckenden Tradition wurde.

Abb. 3: Screenshot: „Tagesthemen“, 4. September 2016 © NDR media mit freundlicher Genehmigung

 

Empathie oder Pathos

Die weitere Recherche müsste zeigen, inwieweit links-autonome Gruppierungen die extreme Bildsprache von „PEgIdA“ und ähnlichen Bewegungen aufnahmen, damit einen groben Keil auf einen groben Klotz setzten und so das Pendant in einem Gegensatzpaar bildeten, dessen wechselseitig sich aufschaukelnden, eifernden Kollisionen die schlimmen Entgleisungen erklären würden. Die rechtsgerichteten Hass-Bilder der „Flüchtlingskrise“ waren und sind jedoch nicht gegen Vertreter links-autonomer Gruppierungen, sondern stets auf Repräsentanten von Staat und Gesellschaft wie Politiker, Journalisten und sogar Pfarrer gerichtet. Hierin liegt ein besonderer Bezug zwischen diesem Konflikt und der Ikonologie Aby Warburgs, weil sich dessen „historische Psychologie“ nicht auf Klammerkämpfe von gleichermaßen extremen Kontrahenten richtete. Stark idealtypisch denkend und darin von Friedrich Nietzsches Unterscheidung des „Apollinischen“ und „Dionysischen“ geprägt, zielt Warburg vielmehr auf elementare Kriterien einer Art Tiefenpsychologie bei der Untersuchung von politischen und kulturellen Konflikten aus metahistorisch vergleichender Perspektive.

Aus dieser Sicht sind Warburgs etwas pathetisch klingende Unterscheidungen des „Olympischen“ und des „Dämonischen“ [28] Beschreibungen immer schon vorhandener Pole des Selbst- und Weltverhältnisses. Als Chiffren für das Mental-Seelische in Opposition zum Sachlich-Relationalen liegt in diesen Unterscheidungen die Möglichkeit zur Selbstreflexion sogar für diejenigen, die dem von Warburg so genannten Dämonischen erlegen zu sein scheinen.[29] Jedes Denken in Oppositionsschemata mag sich ideengeschichtlich längst erschöpft haben. Als Alternative zur Beschreibung von Stimmungen und politischen Gefühlen, die von Akteuren gegenwärtig als „deutsch“ oder „normal“ normativ überhöht werden, stellt die Kulturpsychologie Warburgs jedoch noch immer ein Korrektiv dar. Die „Flüchtlingskrise“ ist zweifellos von starken Emotionen geprägt. Defizitär ist der politische Diskurs der „Flüchtlingskrise“ darin, dass diese Emotionen entweder als identitätsstiftend erlebt oder als sozialpolitisch verständliche „Ängste“ und „Sorgen“ interpretiert werden. Mit Warburg ist ein politisch wirksamer anderer Umgang mit sozio-kulturellen psychologischen Phänomenen möglich. Deren Kritiker werden durch die „historische Psychologie“ Warburgs vor scheinsoziologischen Spekulationen ebenso bewahrt wie vor fatalen kollektivistischen Zugeständnissen. Dazu kommt die bemerkenswerte, durch die Begrifflichkeit Warburgs fassbarer werdende Asymmetrie der „Flüchtlingskrise“ als Bilderkampf. Dessen Spezifik liegt darin, kein wechselseitiger bildpolitischer Schlagabtausch, sondern eine einseitige, nicht gleichermaßen mit Bildern beantwortete, emotional eskalierende Bekämpfung oder Bestreitung von Regierungspolitik mittels Bildern und „Bildakten“ gewesen zu sein.

Den abstoßenden visuellen Diskreditierungen der Willkommenskultur durch ihre Gegner fehlte auch deshalb der direkte bildpolitische Counterpart, weil die Ziele und Inhalte der Willkommenskultur nicht durch Bilder, sondern nur durch unmittelbar helfendes Engagement zu verteidigen waren. Die empathische Willkommenskultur verdankt sich anderen emotionalen Quellen als der pathetischen Stimulation durch Bilder. Ikonologisch betrachtet, liegt in diesem bildgelenkten politischen Pathos der Grund für die Heftigkeit des national-völkischen Populismus in der „Flüchtlingskrise“.

 

Moderne Europäer

Die Asymmetrie dieser Bilderkämpfe lässt sich bis zu den Anfängen der jüngsten Etappe der Willkommenskultur und den überraschend feindseligen, nationalistischen Reaktionen auf den im Grunde harmlosen Satz „Wir schaffen das!“ von Angela Merkel am 31. August 2015 zurückverfolgen.[30] Gerade weil es sich damit um eine oft gehörte, in konservativen Kreisen wohlvertraute Rhetorik des Patriotismus handelte,[31] mag der Satz von einem Klientel, das sich schon gegen den von Bundespräsidenten Christian Wulff getragenen Standpunkt, „der Islam gehört zu Deutschland“, sträubte, nicht als kollektive Ermutigung, sondern als Herausforderung zu einer Umwertung dieses „wir“ empfunden worden sein.[32] Die seltsame Empörung über Selfies von Angela Merkel mit Geflüchteten und die tendenziöse, Flüchtende letztlich diskriminierende Debatte über allzu freundliche Bilder als Fluchtursache, d.h. als Flüchtende animierender Pull-Faktor, ist die bildtheoretische Entsprechung zu dem für die „Flüchtlingskrise“ so charakteristischen Vorgang, dass Offenheit und Empathie mit Ignoranz und Hass beantwortet wurden.

Geflüchteten-Selfies mit Angela Merkel haben sogar Gedanken darüber begleitet, ob der paradoxe, durch Willkommenskultur ausgelöste Hass gegen Fremde, Eliten und Politiker nicht in Liebes-Neid seine Ursache hätte. So war während der ARD-Talksendung „Hart aber fair“ zum Thema „Einheit? Sie pfeifen drauf! Was ist da los, Brüder und Schwestern?“ am 10. Oktober 2016 eine Studioprojektion zu sehen, die Betrachtungen über die mentale Situation in Ostdeutschland mit der längst ikonisch gewordenen Aufnahme des jesidischen Geflüchteten Shaker Kedida beim Selfie mit Bundeskanzlerin Angela Merkel in der Ernstaufnahmeeinrichtung Berlin-Spandau am 10. September 2015 von Bernd von Jutrczenka unterlegte.[33] Sozialpsychologische Mutmaßungen über nationalistische Gewalttaten als Ausdruck eines „emotionalen Überdrucks“ und „Erschöpfungssyndroms“ in den neuen Bundesländern nach 25 Jahren deutscher Einheit[34] lassen jedoch mindestens das Missverhältnis ungeklärt, dass in Deutschland im Herbst 2015 „in Notsituationen ein freundliches Gesicht“ nicht zu zeigen war,[35] ohne dafür Morddrohungen zu erhalten. Die integrativen Gesten der Willkommenskultur – und der viel zitierte Satz „Wir schaffen das!“ stehen dafür ebenso wie die angefeindeten Geflüchteten-Selfies mit Angela Merkel – können nicht als bildpolitische Polarisierung, sondern nur durch ihren empathischen Charakter zu Hass-Reaktionen provoziert haben. Man wurde nicht angegriffen durch die Flüchtenden und die Willkommenskultur – man fühlte sich angegriffen. Solche nicht primär durch Wort und Gegenwort oder Bild und Gegenbild im Wechselstreit, sondern durch Kollisionen von Ereignissen mit isoliert gehegten Selbst- und Weltvorstellungen geweckten Konflikte werden nicht durch die Verschiedenartigkeit von Mentalitäten oder soziokulturellen Kontexten, sondern durch eine historisch vergleichende „Psychologie der Affekte“ [36] und ihre „Pathosformeln“[37] greifbarer.

Auch die erklärte Ablehnung von „Political Correctness“ gehört in das Muster einer überraschenden Kollision nicht von Meinungen, sondern von unterschiedlichen Selbst- und Weltwahrnehmungen während der „Flüchtlingskrise“.[38] Der vielmals als sachlich-rational gescholtene Politikstil Angela Merkels[39] steht der von nationalistisch-völkischen Opponenten in Wort und Bild gesuchten pathetischen Härte und Leidenschaft so sehr entgegen, dass der Konflikt in seiner einseitigen, nachdrücklich inkorrekten Hass-Konjunktur sogar wie eine Art Bildersturm wirkt. Als würden Politiker nicht mehr als Mitbürger, sondern als bildhafte Verkörperungen des Staates wahrgenommen werden, sollte deren Legitimität und Präsenz nicht durch Gespräch und Argumentation, sondern nach dem Slogan „Merkel muss weg!“ wie bei Standbildern durch deren Abräumung enden. Die zeitgleich mit der „Flüchtlingskrise“ ansteigenden Gewaltausbrüche gegen Polizisten, Sachbearbeiter in Jobcentern und selbst gegen Feuerwehrleute und Rettungsdienste[40] machen ebenfalls nur als Angriffe gegen politische Verkörperungen zweifelhaften Sinn, denn auch in diesem Fall kann der kriminelle Hass unmöglich von denjenigen ausgelöst worden sein, die davon persönlich betroffen sind.

Massenpsychologische Deutungen des Bildersturms als „geistfeindliche Tendenz“ bestimmter „Volkserhebungen“, bei denen die „Massen zu einer selbständigen, auf Befriedigung ihrer Interessen abzielenden Politik noch nicht fähig sind und ihre Wünsche auf dem Umweg über fetischisierte Personen und Ideen verinnerlichen müssen“,[41] verfehlen jedoch die soziale Spezifik von Gruppierungen wie „PEgIdA“. Deren Radikalität muss mit den soziodemografischen Merkmalen dieser Demonstranten, die entgegen anfänglicher Überzeugungen nicht etwa den sozialen Rändern, sondern „zu weiten Teilen einer gesellschaftlichen Mittelschicht entstammten, gut ausgebildet und berufstätig waren“, zusammen gedacht werden.[42] Diesem Bildungshintergrund widerspricht umgekehrt die aggressive Ablehnung der zugleich mitfühlenden und differenzierenden Reflexion im Sinne des von Warburg sogenannten Denkraums zugunsten von Pathos, Intuition und Leidenschaft. Nicht demografische Aspekte, nicht die allzu abstrakte Massenpsychologie und erst recht nicht völkische normative Beschreibungen von Befindlichkeiten als „deutsch“ oder „normal“, sondern eine „historische Psychologie“ wäre eine analytische Antwort auf die verstörende Präsenz von Affekten in der bürgerlichen politischen Kultur der Gegenwart. Das sonderbare bildgelenkte Pathos des „patriotischen Europäers“ mit seinen euphorisch verächtlichen Bildern und Bildakten wäre hierbei an der von Warburg verfolgten Genealogie des „modernen Europäers“ zu messen.[43]

 

Nach der „Mitte“

Mitunter sogar ikonografisch an die lutherischen Bauernkriege anschließend,[44] ist die eifernde Aggressivität des „patriotischen Europäers“ mittels maßloser Bilder und Bildakte eines der Extreme, deren Gesamtschau die Aufarbeitung der „Flüchtlingskrise“ erst zu einer Bildgeschichte werden lässt. Die zahlreichen Bildnis-Montagen und Porträtfotografien des Antlitzes von Angela Merkel sind für die Bildgeschichte der „Flüchtlingskrise“ so exemplarisch, weil sich sowohl Zeugnisse der extremen politischen Gegnerschaft als auch der extremen politischen Hoffnung in diesem Bilderkreis wiederfinden. Als Bezugspunkt solch emotionaler Gegensätze wie Hass und Hoffnung vollzieht sich mit dem Bildnis Merkels das, was Warburg die „polare Funktion des einfühlenden Bildgedächtnisses“ genannt hat.[45] Aus dieser ikonologischen Perspektive ist das Gesicht Angela Merkels zu dem zentralen icon der „Flüchtlingskrise“ geworden.

So findet schließlich auch die Erwartung Warburgs, seine Forschung über die Bilderkämpfe der Lutherzeit möge als „Verknüpfung von Kunstgeschichte und Religionswissenschaft die kulturwissenschaftliche Methode verbessern“,[46] in der Bildgeschichte der „Flüchtlingskrise“ eine Fortsetzung. Denn das oft beachtete anrührende, aus verzweifelter Hoffnung geborene übergroße Vertrauen vieler Flüchtender in das Bild von Angela Merkel stellt nicht nur zu den national-völkischen, feindseligen Verfremdungen des Konterfeis der Bundeskanzlerin den größten Gegensatz dar. Auch diese Szenen des Bilderglaubens sind u.a. durch die Studioprojektionen der „Tagesthemen“ teil der „Flüchtlingskrise“ als kollektivem Bildgedächtnis (Abb. 4).

Abb. 4: Screenshot: „Tagesthemen“, 28. Juli 2016 © NDR media mit freundlicher Genehmigung

Die symbolischen Anrufungen von Angela Merkel als „Mama Merkel“ durch die via „Westbalkan-Route“ nach Budapest gelangten und hier festgehaltenen Flüchtenden am 4. September 2015 sind nicht nur der extreme Kontrast zu den psychoanalytisch abgründigen Bespöttelungen der Kanzlerin als „Mutti“ in der Bundesrepublik.[47] Aus Sicht einer spezifizierenden „historischen Psychologie“ ähnelt das Mitführen von Fotografien Merkels zumindest für diesen Moment im September 2015 jenen Erscheinungen von Bildmagie, die Aby Warburg für die Lutherzeit und den Ersten Weltkrieg untersuchte. Jenseits der vorurteilsvollen Meinungen über die bekannten Selfies mit Angela Merkel als fotografisch bewirkte „Fluchtursache“ würden wohl auch diese Aufnahmen von Geflüchteten mit der Kanzlerin als sorgsam gehütete, persönliche, im weiten Sinne bildmagische Talismane anzusehen sein.[48] Übersteigerungen des Bildes Angela Merkels zu einer Art schützender Ikone und „Mutter Theresa“ [49] durch die Flüchtenden wären dabei – trotz aller inhaltlichen Gegensätze – mit den gegnerischen bildpolitischen Fixierungen auf die Bundeskanzlerin als fetischisiertes Hass-Objekt auch religionspsychologisch zu vergleichen.

Wiederbelebungen des Bilderglaubens sind von Warburg in seinem Text über „Heidnisch-antike Weissagungen in Wort und Bild zu Luthers Zeiten“ als besondere Herausforderung zu einer modernen bildgeschichtlichen Form der Konfliktforschung begriffen worden. Als „historische Psychologie“ entfaltet diese Konfliktforschung ihre bis heute anhaltende Fernwirkung. Der 1920 diese Bildgeschichte zusammenfassende Gedanke Aby Warburgs, dass „Athen […] immer wieder neu aus Alexandrien zurückerobert“ werden müsse,[50] ist die symbolgeladene Beschreibung eines dynamischen bipolaren, rationale Verstandeskräfte und gefühlsgeleitete Erlebnisfähigkeit wechselseitig produktiv machenden Selbst- und Weltverhältnisses. Es ist nach wie vor eine Antwort auf das identitär-völkische Ideal der Reinheit und Reinhaltung einer Gruppe[51] und demgegenüber eine emanzipatorische Alternative. Diese gegen die Stillstellungen durch Kollektivismus gerichtete Idee einer spannungsreichen und aus Spannungen heraus sich regenerierenden Individualität kann als politische Theorie aus dem Geist der „Bildwissenschaft“ gelten.[52] Die erschreckende Euphorie von Angehörigen der Mittelschicht als „das Volk“ bei Ausschreitungen gegen Ausländer, Politiker und Eliten während der „Flüchtlingskrise“ gehört daher ebenso zur Ästhetik des nationalen Konservatismus wie auch diese wiederkehrende vereinseitigende Überhöhung von Intuition und Gefühlen bildgeschichtlich als politische Idee klassifizierbar ist.

Aus dieser Sicht scheint mit der „Flüchtlingskrise“ letztlich die Vorstellung einer bürgerlichen „Mitte“ der Vergangenheit anzugehören. Wenn unter dieser „Mitte“ das sozial und politisch ausgleichend wirkende, spannungslose Ruhe-Zentrum einer Gesellschaft zu verstehen ist, dann ist diese ebenso aufgeklärte wie abgeklärte „Mitte“ angesichts ihrer mentalen Verwilderung durch völkisches Pathos endgültig in die von Warburg in ihren Brüchen verfolgte „tragische Geschichte der Denkfreiheit“ eingegangen.[53] „Es sind keine Klassengegensätze, die da zum Ausbruch kommen. Es sind auch keine im eigentlichen Sinne politischen oder ökonomischen Streitfragen“, lautet ein Psychogramm über den „Verlust der Mitte“ im Frühjahr 2016. „Was heute das Blut regelmäßig zur Wallung bringt, sind samt und sonders Fragen der Weltanschauung, der diskursiven Symbolpolitik, des ideologischen Lifestyles.“[54] Gegenüber diesen, jede Demokratie bedrohenden Formen „ästhetischer Politik“[55] ist die von Warburg vertretene produktive, Intuition mit selbstkritischer Rationalität versöhnende Konfliktfähigkeit sogar eine demokratietheoretische Perspektive. Dass selbst Bildmagie als untrügliches Anzeichen eines persönlichen Ausnahmezustands und der extremen Notlage seitens der Flüchtenden „das“ Volk nicht mehr zu rühren vermochte, ist so oder so das bedrückende Zeugnis eines zweifelhaften inneren „Aufnahmezustands“.

 

 

[1] Aby Warburg, Heidnisch-antike Weissagung in Wort und Bild zu Luthers Zeiten (1920), in: ders., Werke in einem Band, Frankfurt a.M. 2010, S. 424-491, online unter https://core.ac.uk/download/pdf/14505525.pdf.

[2] Vgl. Gottfried Korff (Hrsg.), Kasten 117. Aby Warburg und der Aberglaube im Ersten Weltkrieg, Tübingen 2007.

[3] Etwa durch die Mitführung von Trophäen wie Hülsen verfehlender feindlicher Patronen oder Fotografien von gefallenen gegnerischen Soldaten als Beschwörung der eigenen körperlichen Unversehrtheit; vgl. dazu weiterführend auch Kathrin Hoffmann-Curtius, Trophäen und Amulette. Die Fotografien von Wehrmachts- und SS-Verbrechen in den Brieftaschen der Soldaten, in: Fotogeschichte 20 (2000), H. 7/8, S. 63-76.

[4] Warburg, Heidnisch-antike Weissagung in Wort und Bild zu Luthers Zeiten, S. 485.

[5] Michael Diers, Schlagbilder. Zur politischen Ikonographie der Gegenwart, Frankfurt a.M. 1997, S. 29.

[6] Hans Vorländer/Maik Herold/Steven Schäller, Pegida. Entwicklung, Zusammensetzung und Deutung einer Empörungsbewegung, Wiesbaden 2016, S. 139.

[7] Erstmals verwendet wohl von Karl-Heinz Bohrer, vgl. ders., Provinzialismus, in: Merkur. Deutsche Zeitschrift für europäisches Denken 46 (1990), H. 1, S. 89, online unter https://www.merkur-zeitschrift.de/1990/12/.

[8] Aby Warburg, Arbeitende Bauern auf burgundischen Teppichen (1907), in: ders., Ausgewählte Schriften und Würdigungen, Baden-Baden 1979, S. 165-171, hier S. 170.

[9] Nach schweren gewalttätigen Ausschreitungen gegen eine Geflüchtetenunterkunft in Heidenau, vgl. kry/dpa, „Kanzlerin in Heidenau. Polizei ermittelt gegen Merkel-Pöblerin“, in: Der Spiegel, 28.08.2015, http://www.spiegel.de/politik/deutschland/angela-merkel-in-heidenau-hetzerin-beschimpft-kanzlerin-a-1050458.html.

[10] Vgl. Lina-Marie Wintzer, Die visuelle Darstellung von Migranten. Wandel und Kontinuitäten im deutschen Mediendiskurs, in: Global Media Journal 6 (2016), Nr. 1, http://www.globalmediajournal.de/de/2016/07/21/die-visuelle-darstellung-von-migranten-wandel-und-kontinuitaten-im-deutschen-mediendiskurs/; Heike vom Orde, Flucht und Asyl in den Medien. Ausgewählte Forschungsergebnisse, in televizion, 29/2016/2, S. 11-13, online unter http://www.br-online.de/jugend/izi/deutsch/publikation/televizion/29_2016_2/vom_Orde-Flucht_und_Asyl_in_den_Medien.pdf.

[11] Vgl. exemplarisch: Bertelsmann-Stiftung (Hrsg.), Challenging Chances. Flucht im Bild, Gütersloh 2016.

[12] Etwa durch die oft kommentierte Äußerung des AfD-Funktionärs Georg Pazderski (Berlin) während des Wahlkampfes zum Abgeordnetenhaus in Berlin 2016, „was man fühlt, ist auch Realität“; vgl. amz/AFP/dpa, Die gefühlte Wahrheit der AfD. TV-Debatte zur Berlin-Wahl, in: Der Spiegel, 07.September 2016, http://www.spiegel.de/politik/deutschland/berlin-wahl-tv-debatte-die-gefuehlte-wahrheit-der-afd-a-1111239.html.

[13] Vgl. neben Vorländer/Herold/Schäller, Pegida auch Lars Geiges/Stine Marg/Franz Walter, Pegida. Die schmutzige Seite der Zivilgesellschaft, Bielefeld 2015.

[14] Vgl. Matthias Drobinski, AfD: Der neue Rechtspopulismus, in: Süddeutsche Zeitung, 13.08.2016, http://www.sueddeutsche.de/politik/alternative-fuer-deutschland-der-neue-rechtspopulismus-1.3120425.

[15] Etwa durch das Auftauchen der sogenannten Wirmer-Fahne, eines Flaggenentwurfs des katholischen Rechtsanwalts Josef Wirmer aus dem Kreis um Claus Schenk von Stauffenberg im Widerstand gegen Hitler von 1944 auf ausländerfeindlichen „PEgIdA“-Kundgebungen; vgl. Matthias Gafke, Wie sich Rechtspopulisten zu Widerstandskämpfern stilisieren, in: Frankfurt Allgemeine Zeitung, 07.09.2016, http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/afd-instrumentalisiert-bewegung-des-20-juli-um-graf-stauffenberg-14423288.html.

[16] Warburg, Heidnisch-antike Weissagung in Wort und Bild zu Luthers Zeiten (1920), S. 466.

[17] Ebd.

[18] Ebd., S. 447 u. 466.

[19] Zur Geschichte der Willkommenskultur in der Bundesrepublik vgl. Felix Litschauer, Archäologie der Willkommenskultur. Zum Wandel eines politischen Konzepts (d.i. Neue ideengeschichtliche Politikforschung – NiP, Bd. 10), Marburg 2017, https://www.uni-marburg.de/fb03/politikwissenschaft/pi-nip/niplitschauerwillkommen.

[20] Martin Warnke, Cranachs Luther. Entwürfe für ein Image, Frankfurt a.M. 1984, S. 21.

[21] Vgl. Vorländer/Herold/Schäller, Pegida, S. 25-30.

[22] Vgl. im Anschluss an Horst Bredekamps „Theorie des Bildakts“ (2015): Jörg Probst, Bilder als Flüchtlingspolitik. Die Bildgeschichte der „Flüchtlingskrise“ und die politische Theorie des Bildakts, in: Portal Ideengeschichte, PI-Essay 01/07-2016, www.uni-marburg.de/fb03/politikwissenschaft/pi-nip/ideen-kulturen/bildundflucht/bilderalsfluechtlingspolitikprobst.pdf.

[23] Medienübergreifend, d.h. sowohl in den herkömmlichen als auch in den Sozialen Medien wurden im Geflüchtetenhilfe-Projekt „IdeenBotschafter!“ von Portal Ideengeschichte seit September 2015 herausragende kommentierte Bilder als „Ikonologie der ‚Flüchtlingskrise‘“ gesammelt und besprochen; vgl. http://www.uni-marburg.de/fb03/politikwissenschaft/pi-nip/ideen-kulturen/bildundflucht/ikonen.

[24] Warburg, Heidnisch-antike Weissagung in Wort und Bild zu Luthers Zeiten (1920), S. 468 u. 469.

[25] Der Vorgang ist auch deshalb exemplarisch, weil dieser Galgen auf eine Äußerung des damaligen Wirtschaftsministers und Vize-Bundeskanzlers Sigmar Gabriel reagierte, der die an den pogromartigen Ausschreitungen in Heidenau im August 2015 Beteiligten als „Pack“ bezeichnet hatte. Die „PEgIdA“-Demonstration mit dem Galgen konnte demnach als Solidarisierung mit dem Tätern von Heidenau gelten.

[26] Ebd., S. 485.

[27] Vgl. Sonja Álvarez, Kritik an Fotomontage im „Bericht aus Berlin“. Kanzlerin mit Kopftuch, in: Tagesspiegel, 05.10.2016, http://www.tagesspiegel.de/medien/kritik-an-fotomontagen-im-bericht-aus-berlin-kanzlerin-mit-kopftuch/12408918.html.

[28] Warburg, Heidnisch-antike Weissagung in Wort und Bild zu Luthers Zeiten (1920), S. 426.

[29] Dass der AfD-Mann Marcus Pretzell in der mit ihm liierten, damals noch AfD-Bundesprecherin Frauke Petry etwas „dämonenhaft Schönes“ bewunderte, ist in diesem Zusammenhang nur eine Fußnote; vgl. über ein Interview von Pretzell und Petry für die Zeitschrift „Bunte“ vom 25. März 2016: Mely Kiyak, Petzy, das Powerpaar, in: Die Zeit, 30. März 2016, http://www.zeit.de/kultur/2016-03/petry-pretzell-afd-bunte-deutschstunde.

[30] Vgl. Julian Heißler, Ein Jahr „Wir schaffen das“. Merkels drei große kleine Worte, 31.08.2016, www.tagesschau.de/inland/merkel-wir-schaffen-das-101.html.

[31] Z.B. durch Helmut Kohl 1990, vgl. Alfons Kaiser, „Yo, wir schaffen das!“, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 12.10.2015, http://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/ueber-die-quelle-von-angela-merkels-wir-schaffen-das-13852723.html.

[32] Vgl. dazu Jan Fleischhauer, Völkisches Denken. Was Alexander Gauland uns sagen will, in: Der Spiegel, 06.06.2016, http://www.spiegel.de/politik/deutschland/was-alexander-gauland-uns-sagen-will-kolumne-a-1096025.html, oder Britta Kollenbroich, Begriff „völkisch“. Warum Frauke Petry falschliegt, in: Der Spiegel, 11. 11.2016, http://www.spiegel.de/politik/deutschland/frauke-petry-und-das-wort-voelkisch-warum-die-afd-chefin-falsch-liegt-a-1111833.html.

[33] Vgl. Jörg Probst, Ein Moment der Ruhe. Selfies von Geflüchteten mit Angela Merkel. Ein Gespräch mit dem Fotografien Bernd von Jutrczenka (d.i. Neue ideengeschichtliche Politikforschung – NiP, extra 1), Marburg 2016, https://www.uni-marburg.de/fb03/politikwissenschaft/pi-nip/ideen-kulturen/bildundflucht/selfiesmerkeljutrczenka.pdf.

[34] Stefan Berg, Das Erbe der DDR, in: Der Spiegel, 40/2016, S. 42, online unter http://www.spiegel.de/spiegel/hass-auf-fluechtlinge-das-erbe-der-ddr-a-1114910.html.

[35] Angela Merkel auf der Pressekonferenz mit dem damaligen österreichischem Ministerpräsidenten Werner Faymann am 15. September 2015, vgl. ler/AfP/dpa, Merkel und Faymann zur Flüchtlingskrise. „Wir dürfen Menschen, die Asyl suchen, nicht im Stich lassen“, in: Der Spiegel, 15.09.2015, http://www.spiegel.de/politik/deutschland/merkel-und-faymann-zur-fluechtlingskrise-a-1053051.html, dazu Gustav Seibt, Der seltene Gefühlsausbruch der Kanzlerin, in: Süddeutsche Zeitung, 17.09.2015, http://www.sueddeutsche.de/politik/merkel-zur-fluechtlingsdebatte-der-gefuehlsausbruch-der-kanzlerin-1.2650051.

[36] Ernst Cassirer, Vom Mythus des Staates (engl. 1946), Zürich 1949,  S. 34.

[37] Aby Warburg, Mnemosyne Einleitung (1929), in: ders., Werke in einem Band, Frankfurt a.M. 2010, S. 638.

[38] Exemplarisch dafür steht die Äußerung „Die politische Korrektheit gehört auf den Müllhaufen der Geschichte“ durch die AfD-Führerin Alice Weidel auf dem Parteitag der AfD in Köln am 23. April 2017; vgl. über das juristische Vorgehen von Weidel gegen den NDR-Satiriker Christian Ehring deswegen auch kev, AfD erwägt Klage gegen NDR-Satiriker, in: Der Spiegel, 01.05.2017, http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/afd-erwaegt-klage-gegen-extra-3-moderator-christian-ehring-a-1145583.html.

[39] Etwa anlässlich einer Fernseh-Diskussion der Bundeskanzlerin mit dem palästinensischen Mädchen Reem, vgl. Annett Meiritz, Merkel und die Tränen-Schülerin. Die Kühle der Kanzlerin ist nicht das Problem, in: Der Spiegel, 16.07.2015, http://www.spiegel.de/politik/deutschland/kommentar-zum-weinenden-fluechtlingsmaedchen-und-merkel-a-1044070.html.

[40] Die Vorkommnisse bewirkten ein Gesetz zur Stärkung des Schutzes von Vollstreckungsbeamten und Rettungskräften durch Umgestaltung von §§113ff. des Strafgesetzbuches und den neuen Straftatbestand des „Tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte“ §114 StGB-E durch die Bundesregierung am 8. Februar 2017.

[41] Max Horkheimer, Egoismus und Freiheitsbewegung. Zur Anthropologie des bürgerlichen Zeitalter“ (1936), in: ders., Traditionelle und kritische Theorie. Vier Aufsätze, Frankfurt a.M. 1970, S. 95-161, hier S. 136.

[42] Vorländer/Herold/Schäller, Pegida, S. 53.

[43] Warburg, Heidnisch-antike Weissagung in Wort und Bild zu Luthers Zeiten (1920), S. 485.

[44] Etwa durch den häufig kommentierten „Mistgabel“-Aufruf der „PEgIdA“-Rednerin Tatjana Festerling am 11. Januar 2016. Vgl. dazu in einem umfassenden psychologischen Porträt: Stefan Locke/Justus Bender, Pegida-Aktivistin Tatjana Festerling. Radikaler geht’s nicht, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 19.01.2016, http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/pegida-aktivistin-festerling-radikaler-geht-s-nicht-14021313.html.

[45] Warburg, Heidnisch-antike Weissagung in Wort und Bild zu Luthers Zeiten (1920), S. 484.

[46] Ebd.

[47] Zum Beispiel durch den Syrer Morad, der mit einer Fotografie Angela Merkels in der Hand am 4. September den Aufbruch der Flüchtenden vom Bahnhof in Budapest in Richtung österreichische Grenze organisierte; vgl. Riham Alkousaa u.a., Das Märchen eines Sommers, in: Der Spiegel 33/2016, S. 21, online unter http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-146269137.html.

[48] Im Rahmen der Vortragsreihe „#BildUndFlucht“ des Geflüchtetenhilfe-Projekts „IdeenBotschafter!“ von Portal Ideengeschichte wurden am 29. September 2016 während einer Veranstaltung mit Geflüchteten aus Aleppo Selfies nur auf mehrfaches und von engen Freunden unterstütztes Bitten öffentlich gezeigt. Die Dokumente des existenziellen Dramas der Flucht wurden von den Geflüchteten wie kostbare Zeugnisse der Selbstbehauptung und als fortwirkende Motivationen des Selbstbehauptungswillens vertraulich bewahrt.

[49] Ebd.

[50] Warburg, Heidnisch-antike Weissagung in Wort und Bild zu Luthers Zeiten (1920), S. 485.

[51] Etwa durch die identitäre Demokratietheorie Carl Schmitts, vgl. ders., Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus, München 1923.

[52] Aby Warburg an Hans Tietze, 4. Dezember 1925, Warburg Institute Archive (WIA), General Correspondence. Vgl. Thomas Hensel, Magie der Technik. Aby M. Warburg (1866-1929), in: Jörg Probst/Jost Philipp Klenner (Hrsg.), Ideengeschichte der Bildwissenschaft. Siebzehn Porträts, Frankfurt a.M. 2009, S. 360-382.

[53] Warburg, Heidnisch-antike Weissagung in Wort und Bild zu Luthers Zeiten (1920), S. 485.

[54] Ijoma Mangold, Der Verlust der Mitte, in: Die Zeit, 04.02.2016, http://www.zeit.de/2016/04/deutschland-wirtschaft-linke-diskurs-mitte-rechte.

[55] Vgl. Jörg Probst, Trump als Künstler. Ästhetische Politik und Postfaktizität, Portal Ideengeschichte, PI-Essay 001/06-2017, https://www.uni-marburg.de/fb03/politikwissenschaft/pi-nip/publikationen/essays/trumpkuenstleraesthetischepolitikprobst.pdf.

 

 

Zitation


Jörg Probst, Aufnahmezustand. Die Bildgeschichte der „Flüchtlingskrise“ 2015 und die Historische Psychologie Aby Warburgs, in: Visual History, 17.10.2017, https://www.visual-history.de/2017/10/17/aufnahmezustand/
DOI: https://doi.org/10.14765/zzf.dok.5.1204
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