Fotografie in Diktaturen

Das aktuelle Heft der „Zeithistorischen Forschungen“ 2/2015 ist erschienen

Bleibt die Fotografie in einer Diktatur ein dokumentarisches Medium, das lediglich „zeigt, was da ist“? Wie leicht lässt sie sich für bestimmte staatlich vorgegebene Zwecke instrumentalisieren? Finden Fotografinnen und Fotografen eigene, womöglich eigen-sinnige Blicke auf die Wirklichkeit? Lassen sich gerade an Fotografien die verschiedenen Aneignungs- und Repräsentationsformen von Wirklichkeit in Diktaturen erkennen?

Diesen und weiteren Fragen nehmen sich Annette Vowinckel und Michael Wildt als Herausgeber des neuen Hefts 2/2015 der „Zeithistorischen Forschungen/Studies in Contemporary History“ unter dem Titel Fotografie in Diktaturen an. Eine Verbindung der Themenfelder „Fotografie“ und „Diktatur“, so die beiden Herausgeber in der Einleitung des Hefts, führe schnell dazu, dass „Bildpropaganda“ als gemeinsamer Nenner ins Zentrum der Aufmerksamkeit rücke. Doch wenngleich Fotografie in Diktaturen zweifellos für propagandistische Zwecke eingespannt worden sei, so erscheine eine Konzentration auf diese Form der Funktionalisierung des Mediums in vielerlei Hinsicht doch problematisch.

Die einzelnen Beiträge des Hefts gehen daher der Frage nach, worin sich Fotografie in einer Diktatur von Fotografie in einer Demokratie unterscheidet. Sind die Gemeinsamkeiten nicht möglicherweise größer als die Unterschiede? Lassen sich Diktatur und Demokratie immer so scharf abgrenzen, wie man es aus politik- und ideologiegeschichtlicher Perspektive zunächst annimmt? Eine besondere Rolle spielen in diesem Heft die Fotografinnen und Fotografen als Akteure. Inwieweit waren sie in mediale Institutionen der Diktatur eingebunden oder konnten eigene Wege gehen? Hervorzuheben ist auch die thematische Auswahl der Artikel. Hier wird der Fokus auf das faschistische Japan, das autoritäre Argentinien unter Juan Perón und das sozialistische Ungarn gelegt – Länder, die in der deutschsprachigen Forschung der Fotografie bisher kaum beachtet worden sind.

Die Fotografen von „Képes 7“ posieren für eine gemeinsame Aufnahme anlässlich ihrer Ausstellung „Szupergrup!“ in der Budapester Galerie der Fotokunst 1986. Obere Reihe v.l.n.r. Gábor Kerekes, Judit Müller, Gábor Váradi, Zoltán Pólya, Gyöngyi Rózsavölgyi, der stellvertretende Chefredakteur Tamás Féner; untere Reihe v.l.n.r. Péter Horváth, Gábor Lengyel, Imre Benkő © Archiv Imre Benkő mit freundlicher Genehmigung

Die Fotografen von „Képes 7“ posieren für eine gemeinsame Aufnahme anlässlich ihrer Ausstellung „Szupergrup!“ in der Budapester Galerie der Fotokunst 1986. Obere Reihe v.l.n.r. Gábor Kerekes, Judit Müller, Gábor Váradi, Zoltán Pólya, Gyöngyi Rózsavölgyi, der stellvertretende Chefredakteur Tamás Féner; untere Reihe v.l.n.r. Péter Horváth, Gábor Lengyel, Imre Benkő © Archiv Imre Benkő mit freundlicher Genehmigung

Linda Conze analysiert in ihrem Artikel Die Ordnung des Festes / Die Ordnung des Bildes. Fotografische Blicke auf Festumzüge in Schwaben (1926-1934) den Bestand des Fotografen Albert Gehring, um die Frage zu erörtern, inwieweit das Jahr 1933 und die politischen Veränderungen Spuren in seinen Fotografien hinterlassen haben. Auf der Grundlage von Bildanalysen kommt die Autorin zu dem Ergebnis, dass die Fotografien den Wandel einerseits abbilden würden, dass dieser aber keine Zäsur im strengen Sinn darstelle, sondern in lokale Traditionen eingebettet sei. Vor allem bietet Conze die Lesart an, dass das Fotografieren selbst Teil des nationalsozialistischen Neuordnungsprozesses gewesen sei.

Feuerwehrfest 1934, Fotografischer Nachlass Albert Gehring © Stadtarchiv Ditzingen (Digitalisat des Glasplatten-Negativs, Bild Nr. 0104)

Feuerwehrfest 1934, Fotografischer Nachlass Albert Gehring © Stadtarchiv Ditzingen (Digitalisat des Glasplatten-Negativs, Bild Nr. 0104)

Andrea Germer unternimmt mit ihrem Beitrag Adapting Russian Constructivism and Socialist Realism. The Japanese Overseas Photo Magazine FRONT (1942-1945) eine weite Reise in das ferne Japan und untersucht dort anhand der Zeitschrift „FRONT“ die japanische Propagandafotografie sowie die Einflüsse des sowjetischen Magazins „SSSR na stroike”. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass die Bedeutung einer Fotografie abhängig von Rahmungen und Kontextualisierungen sei, sodass eine Fotografie nicht explizit für eine Demokratie oder eine Diktatur spreche. Der Betrachter entscheide schlussendlich selbst, wie er die Fotografie oder Fotomontage bewerte und einordne.

Left: SSSR na stroike (USSR in Construction), here the German edition (U[d]SSR im Bau), 1935, no. 12, ›Fearless Soviet Parachutists‹, cover page, original size ca. 412 x 300mm. Designed by Alexander Rodchenko and Varvara Stepanova © Right: FRONT, English edition, 1943, no. 7, ›Japanese Army Paratroop Units‹, cover page, original size A3. Designed by Hara Hiromu ©

Left: SSSR na stroike (USSR in Construction), here the German edition (U[d]SSR im Bau), 1935, no. 12, ›Fearless Soviet Parachutists‹, cover page, original size ca. 412 x 300mm. Designed by Alexander Rodchenko and Varvara Stepanova ©
Right: FRONT, English edition, 1943, no. 7, ›Japanese Army Paratroop Units‹, cover page, original size A3. Designed by Hara Hiromu ©

Traumbilder. Grete Sterns Avantgardefotografie im Argentinien Peróns (1946-1955) heißt Katharina Schembs’ Beitrag. Sie zeigt anhand einer biografischen Annäherung an das Leben der jüdischen Emigrantin Grete Stern, wie sich die Avantgardefotografie in Argentinien unter Juan Perón zwischen 1946 und 1955 entwickelte. Folglich ist es ein Einblick in das Leben einer Fotografin, die ihrer Arbeit in einem Staat nachging, der durch Autorität, Repressalien und Brutalität gekennzeichnet war. Dennoch hatte die Fotografin Grete Stern einen erstaunlich großen Spielraum bei der Gestaltung, da die Zensurmaßnahmen kaum griffen bzw. eher spät durchgesetzt wurden. So bildet die Arbeit Grete Sterns einen Kontrast zu der Bildpropaganda des Perón-Regimes. Allerdings übte sie nur indirekt Kritik am Regime und den staatlichen Bildern, beispielsweise indem sie ein völlig konträres Frauenbild zeigte – fernab des staatlich verbreiteten von der „Frau am Herd”.

 

Eszter Kiss schildert dagegen, wie staatliche Akteure im spätsozialistischen Ungarn Einfluss auf die Publikationen von Fotografinnen und Fotografen nahmen. Sie stellt in ihrem Beitrag Vorbilder, Spiegelbilder und Feindbilder. Der Umgang mit Fotografien im ungarischen Magazin „Képes 7“ Mitte der 1980er-Jahre fest, dass es mangels einer eigens für Bildpublikationen zuständigen Behörde nur eine unkoordinierte Steuerungspolitik des Staats gab. Weniger eine strikte Pressezensur als vielmehr ein Konglomerat aus individuellen Entscheidungen und Willkür, aber auch die Einbeziehung der Fotografen in staatlich unterstützte Netzwerke sind charakteristisch für die tägliche Praxis. Auch Eszter Kiss zeigt in ihrem Beitrag, dass Bilder gegenüber Texten nachrangig behandelt wurden, da sie, so die Autorin, häufig keine eindeutige Lesart boten.

Ein Beispiel für die visuelle Inszenierung von Ignác Pióker als Held der sozialistischen Arbeit durch die Agentur MTI. Pióker wurde vornehmlich bei der Arbeit oder während der Ausbildung des Hobler-Nachwuchses dargestellt. Zudem entstanden Home-Storys mit seiner Ehefrau und den beiden Söhnen. An Klarheit ist diese Komposition kaum zu übertreffen: In der Mitte des Bildes befindet sich die rechte Hand des Hoblers, also der Teil des Körpers, dem die besonders präzise – und aus diesem Grund mehrfach ausgezeichnete – Arbeit zugeschrieben wurde. Der Fokus des Betrachters richtet sich auf die Maschine sowie den Mann dahinter. Etwas weiter links im Bild ist ein Schild zu erkennen mit der Aufschrift: „Der beste Hobler des Landes, Genosse Ignácz Pióker“. Fotograf: Ferenc Bartal © MTI-Fotoarchiv / Magyar Fotó, (Nr.: FMAFI19509156002) mit freundlicher Genehmigung

Ein Beispiel für die visuelle Inszenierung von Ignác Pióker als Held der sozialistischen Arbeit durch die Agentur MTI. Pióker wurde vornehmlich bei der Arbeit oder während der Ausbildung des Hobler-Nachwuchses dargestellt. Zudem entstanden Home-Storys mit seiner Ehefrau und den beiden Söhnen. An Klarheit ist diese Komposition kaum zu übertreffen: In der Mitte des Bildes befindet sich die rechte Hand des Hoblers, also der Teil des Körpers, dem die besonders präzise – und aus diesem Grund mehrfach ausgezeichnete – Arbeit zugeschrieben wurde. Der Fokus des Betrachters richtet sich auf die Maschine sowie den Mann dahinter. Etwas weiter links im Bild ist ein Schild zu erkennen mit der Aufschrift: „Der beste Hobler des Landes, Genosse Ignácz Pióker“.
Fotograf: Ferenc Bartal © MTI-Fotoarchiv / Magyar Fotó, (Nr.: FMAFI19509156002) mit freundlicher Genehmigung

Jörg Baberowski widmet sich in seinem Beitrag den „Gesichtern eines Despoten“ und fördert bisher unveröffentlichte Fotografien Stalins zutage, die den Diktator in privaten und halböffentlichen Situationen zeigen. Er analysiert die Aufnahmen und entdeckt wiederkehrende Elemente, wie den Fokus auf Stalins körperliches Erscheinungsbild. Die Ikonisierung Stalins als „Vater der Völker“ und „gottgleiches Wesen“ ließ die Bevölkerung der Sowjetunion in offiziellen Bilddokumenten schnell in den Hintergrund treten.

Stalin in Tscheljabinsk (rechts Kaganowitsch), Fotograf unbekannt, Quelle: Russländisches Staatliches Archiv für Politik- und Sozialgeschichte (Rossijskij Gosudarstvennyj Archiv social’no-političeskoj istorii, RGASPI) Moskau RGASPI, Fond 558

Stalin in Tscheljabinsk (rechts Kaganowitsch), Fotograf unbekannt, Quelle: Russländisches Staatliches Archiv für Politik- und Sozialgeschichte (Rossijskij Gosudarstvennyj Archiv social’no-političeskoj istorii, RGASPI) Moskau RGASPI, Fond 558

Marion Wittfelds Beitrag „Geschmackerziehend und stilbildend“. Modefotografie im Nationalsozialismus am Beispiel der Zeitschrift „Mode und Heim” (1931-1944) beschäftigt sich mit dem deutschen Schauplatz. Die Autorin verdeutlicht anhand der Zeitschrift „Mode und Heim”, dass es während des Kriegs vor allem galt, mithilfe der Fotografien die Stimmung an der Heimatfront zu stabilisieren. Da es, wie Marion Wittfeld feststellt, trotz strenger Pressezensur zur Modefotografie kaum Anweisungen gab, seien die dargestellten Frauentypen als heterogen zu charakterisieren – was der Integration in die „Volksgemeinschaft” durchaus entgegenkam. Einzig jüdische Models und Fotograf/innen waren nicht Teil dieser Gemeinschaft und wurden verfolgt.

 

Mit A Socialist Family of Man. Rita Maahs‘ and Karl-Eduard von Schnitzler’s Exhibition „Vom Glück des Menschen” von Sarah Goodrum fällt der Blick auf die Ost-Berliner Ausstellung „Vom Glück des Menschen”, die als Antwort auf Edward Steichens Ausstellung „The Family of Man” konzipiert wurde. Die Kuratoren Rita Maahs und Karl-Eduard von Schnitzler unternahmen hier den Versuch, das gezeigte Glück als eine sozialistische Errungenschaft zu definieren. Doch, so stellt die Autorin fest, konnte diese ostdeutsche Antwort auf Steichens New Yorker Ausstellung kaum einer visuellen Block-Konfrontation gerecht werden, da Motivauswahl und Ästhetik viel zu ähnlich schienen.

 

Auch wenn die Beiträge im aktuellen Heft der „Zeithistorischen Forschungen“ nur einen kleinen Einblick in das Thema bieten und zudem geografisch weit gestreut sind, so lässt sich doch feststellen, dass das Medium Fotografie in vielen Diktaturen zwar häufig auf der Grundlage von Propagandazielen funktionalisiert wurde, dass aber gleichzeitig komplexe Bildpraxen entstanden, die einen eigen-sinnigen Gebrauch der Fotografie und das Umgehen jeder Form von Zensur durchaus möglich machten. Die genaue Lektüre lohnt sich also.

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